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Sprachrohr

    Meine Aufgabe bei diesem Beispieltext war:
    Nimm die Informationen, die Du von uns bekommst, und verpacke sie in einen Artikel.

    Der Artikel ist in der Kolumne Digitaler Dienstag im Newsletter des Blinden- und Sehbehindertenverbands Österreich (BSVÖ) im Februar 2022 erschienen.

    Hürden im Web: Verkehrte Welt oder vertrauter Alltag?

    Sie öffnen eine Seite im Internet und sehen: nichts. Kommt Ihnen das bekannt vor? Wenn nicht, zählen Sie zu den Glücklichen, deren Wahrnehmungsmöglichkeiten üblicherweise bei der Gestaltung von Webseiten berücksichtigt werden. Alle anderen werden tagtäglich durch unnötige Fehler be-hindert. Welche der FFG zufolge die häufigsten sind, wollen wir Ihnen heute anhand einiger Beispiele faschingsgerecht näherbringen.

    Wenn Sie sich jetzt auf einen Artikel mit Spaßfaktor freuen, müssen wir Sie leider enttäuschen, denn ulkig ist das Thema weiß Gott nicht. So weit, das zu behaupten, würden vermutlich auch diejenigen nicht gehen, die hauptverantwortlich dafür sind, dass es an Aktualität nicht verliert. Wie bitter ernst es tatsächlich ist, zu Dingen, die für Menschen ohne Behinderungen vollkommen selbstverständlich sind, mit fast derselben Selbstverständlichkeit keinen Zugang zu haben, und dann womöglich auch noch als lästig abgestempelt zu werden, wenn man ihn einfordert, scheint vielen aber auch nicht klar zu sein. Mit ausgelassenem Feiern und überschwänglich guter Laune hat das Ganze also rein gar nichts zu tun. Streng genommen ist er ja – allen Vorurteilen zum Trotz – heuer auch nicht einmal im Februar, der Fasching. Und trotzdem machen wir ihn uns zunutze: Wir nehmen ihn als Inspiration, in andere Rollen zu schlüpfen und die Welt, wie wir sie kennen, auf den Kopf zu stellen. Stellen Sie sich einmal vor …

    … die Bilder sind weg

    Das erschreckt Sie nicht? Dann wagen wir uns an ein Beispiel: In den letzten Jahren ist das richtige gründliche Händewaschen ein großes Thema geworden. Gewissenhaft, wie Sie sind, möchten Sie sich ganz genau darüber informieren. Sie begeben sich also im Internet auf die Suche nach einer Schritt für Schritt Anleitung. Sie werden fündig. Doch was ist denn das? Alles, was Sie auf der Seite finden, ist der Text „Schritt 1“ und daneben ein weiterer Textfetzen „right-pointing-arrow“. Und, alles klar mit dem Händewaschen? Wohl eher nicht.

    „Gut, mit der Seite stimmt irgendwas nicht,“ werden Sie sich wahrscheinlich denken, und das nächste Suchergebnis aufrufen. Doch das sieht auch nicht viel besser aus. Das nächste auch nicht. Und beim übernächsten ist die Seite überhaupt leer. Spätestens jetzt werden Sie sich wahrscheinlich denken, da stimmt ganz gewaltig etwas nicht – mit dem Internet, mit Ihrem Computer, mit was auch immer. Je nach Typ und Stimmung werden Sie nun vielleicht Ihrem Laptop gut zureden, eine geharnischte E-Mail an Ihren Internetanbieter verfassen oder das Kastl fluchend zuklappen und nach eigenem Gutdünken Händewaschen gehen. Vielleicht rufen Sie eine Freundin an und klagen ihr Ihr Leid – mit der Sicherheit, dass sie ebenso empört sein wird wie Sie, denn das ist doch wirklich ein Witz! Auf jeden Fall werden Sie davon ausgehen, dass hoffentlich nach einmal drüber Schlafen alles wieder gut ist und es nur eine vorrübergehende Störung war. Außer …

    Ja, außer Sie arbeiten am Computer mit dem Screenreader. Dann kennen Sie solche Situationen zur Genüge. Sie wissen, dass ein Bild nicht allen mehr als tausend Worte sagt. Ihnen ist klar, dass Sie auch, wenn mit Ihren Geräten und der Internetverbindung alles in bester Ordnung ist, damit rechnen müssen, dass Ihnen wichtige Inhalte einer Webseite komplett verborgen bleiben. Vielleicht haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass Ihre Beschwerde beim Anbieter mit einem „Wir bemühen uns eh, aber Sie müssen schon verstehen, dass es viele Wünsche gibt und wir nicht alle erfüllen können!“ beantwortet wird oder womöglich sogar Ihr Unmut bei der Freundin, bei der Sie sich ausschleimen wollen, auf wenig Verständnis stößt.

    Die WCAG, das sind die technischen Richtlinien für digitale Barrierefreiheit, nennen dieses weit verbreitete Problem beim Namen und bieten auch eine Lösung. Dort heißt es „Stellen Sie Textalternativen für alle Nicht-Text-Inhalte zur Verfügung.“ So einfach wäre es: Bilder mit einem Alternativtext versehen, der im jeweiligen Zusammenhang Sinn ergibt, und schon bliebe uns viel Frust erspart. Aber schauen wir uns ein weiteres Szenario an. Nehmen wir einmal an …

    … es herrscht Chaos

    Die Sache mit dem Händewaschen lässt Ihnen keine Ruhe. Sie probieren es also am nächsten Tag frühmorgens erneut: Computer an, Browser geöffnet, Suchbegriff eingegeben. Sie öffnen eine vorgeschlagene Seite und sind zuversichtlich, denn da ist Text. Viel Text. Kreuz und quer, von oben nach unten und rechts nach links. Wörter fliegen durch die Gegend, Absätze hängen willkürlich auf dem Bildschirm herum. Das war’s dann mit der guten Laune. „Zum Glück brauch‘ ich das Zähneputzen nicht mehr googeln,“ denken Sie sich und begeben sich ins Bad.

    So absurd dieses Szenario in Zeiten von ausgeklügelten und stylishen Weblayouts klingen mag: Für Nutzerinnen und Nutzer von Screenreadern ist auch das durchaus Alltag. „Informationen und Strukturen auf Websites beziehungsweise Beziehungen zwischen Elementen auf Websites sollen nicht nur visuell verständlich sein, sondern auch programmatisch richtig ausgezeichnet werden und bestimmt werden können,“ erklärt die FFG das Erfolgskriterium „Information, Struktur und Beziehungen der Präsentation“ der WCAG. Egal, wie übersichtlich und klar strukturiert eine Webseite mit verschiedenen Bereichen und unterschiedlich gestalteten Überschriften graphisch sein mag – wenn diese Struktur für den Screenreader nicht erkennbar ist, ist man als Nutzer:in desselben verloren.

    Aber auch für diejenigen, die den Bildschirm sehen, gibt es Webseiten, bei denen man den Eindruck hat …

    … es herrscht Leere

    Beim nächsten Versuch – Sie sind ja hartnäckig – haben Sie eine Seite gefunden, die so sauber ist wie Ihre Hände es mittlerweile wären, wenn Sie den bisherigen Seiten irgendwelche Informationen hätten entnehmen können: blitzblank.

    Damit sind wir jetzt bei einem Beispiel, das nicht einmal für Menschen ohne Sehbehinderung besonders viel Vorstellungskraft braucht. Diese Art von graphischer Gestaltung, die sich für besonders elegant hält, indem sehr zarte, sehr helle Schrift verwendet wird, kommt durchaus häufig vor. Natürlich ist das Spektrum zwischen „keine Chance, irgendetwas zu erkennen“ und „geht schon irgendwie bei guten Lichtverhältnissen“ je nach individuellen Voraussetzungen ein breites. Aber wenn wir uns am Prinzip des Universellen Gestaltens orientieren, das niemand geringerer als die UN Behindertenrechtskonvention vorgibt, muss ein Angebot Menschen mit unterschiedlichsten individuellen Möglichkeiten und Voraussetzungen gerecht werden. Daher haben die WCAG absolut Recht, wenn sie sagen „Machen Sie es Benutzer:innen leichter, Inhalt zu sehen und zu hören,“ und dabei einen gewissen Mindestkontrast zwischen Text und Hintergrund vorgeben.

    Gehen wir aber weiter in unserem Beispiel – und spätestens jetzt wird es gefährlich: Stellen Sie sich vor …

    … Sie sagen „Ja“ ins Blaue hinein

    Beim vierten Anlauf haben Sie es nun endlich geschafft: Auf dem Bildschirm erscheint eine wunderschöne, übersichtliche Auflistung von fünf Schritten, die Sie nach allen Regeln der Kunst in die Geheimnisse des Händewaschens einweihen würde. Wäre da nicht die Schaltfläche „Bestätigen“, hinter der die Seite nur ganz blass sichtbar ist. Aber was sollen Sie bestätigen? Werden Sie hier nur gefragt, ob Sie sicher sind, dass Sie sich diese Informationen zum Händewaschen wirklich zumuten wollen? Sollen Sie einwilligen, dass Sie im Gegenzug ein lebenslanges kostenpflichtiges Desinfektionsmittel-Abo bestellen? Oder wird Ihnen gar ein Pakt mit dem Teufel angeboten? Vielleicht haben Sie aber auch so viel Vertrauen, dass das Internet es prinzipiell nur gut mit Ihnen meint, dass Sie auf gut Glück gerne bestätigen würden – das Problem: die Schaltfläche lässt sich nicht bedienen.

    Zugegeben, im Zusammenhang mit unserem Beispiel der Händewaschanleitung erscheint dieses Problem vielleicht nicht so gravierend. So dringend wird das Verlangen nach der Information in dem Fall wahrscheinlich auch wieder nicht sein. Aber stellen Sie sich einmal vor, etwas ähnliches passiert Ihnen beim Einkauf im Webshop ihres – ab dem Moment vermutlich nicht mehr so großen – Vertrauens oder gar im Online-Banking, auf das Sie für Ihre alltäglichen Geldgeschäfte angewiesen sind. Da hört sich der Spaß auf, oder?

    Für alle, die das Internet in erster Linie gut sehend und mit der Maus oder dem Touchpad als Eingabegerät nutzen, kommen solche Probleme in Wirklichkeit relativ selten vor. Wenn doch, ist für alle – Nutzer:innen wie Betreiber:innen – klar, dass das ein No-Go ist und so schnell wie möglich behoben werden muss, wenn man seine Kund:innen nicht verlieren und einen Skandal vermeiden möchte. Dass beispielsweise der Zweck einer Schaltfläche mit dem Screenreader nicht erkennbar ist oder sie mit der Computertastatur nicht angesteuert und aktiviert werden kann, kommt hingegen ziemlich häufig vor. Die FFG hat beobachtet, dass dem Erfolgskriterium „Name, Rolle, Wert“ der WCAG, bei dem es um dieses Thema geht, oft nicht entsprochen wird. Der Aufruhr in solchen Fällen ist unserer Erfahrung nach vergleichsweise gering.

    Nach diesem Punkt hört es sich ja fast harmlos an, wenn wir feststellen müssen …

    … am Namensschild fehlt der Name

    Soll heißen: Eine Webseite wird mit einem wenig aussagekräftigen „Startseite“ oder „Herzlich willkommen!“ betitelt. Solange nur eine Seite offen ist, bei der man vielleicht auch bereits weiß, um welche es sich handelt, mag das tatsächlich nicht so tragisch sein. Aber ab dem Moment, wo man z.B. von einer Seite auf eine andere weitergeleitet wird oder mehrere Seiten gleichzeitig im Browser geöffnet hat, kann es schnell passieren, dass man den Überblick zwischen den ganzen „Startseiten“ verliert und sich zwar sehr herzlich willkommen fühlt, aber die Orientierung verliert. Um solche Situationen zu vermeiden, zählen die WCAG Titel von Webseiten, aber auch zum Beispiel von PDFs, zu jenen Mitteln, die Benutzer:innen dabei „unterstützen zu navigieren, Inhalte zu finden und zu bestimmen, wo sie sich befinden.“

    Zu guter Letzt beglücken wir Sie noch mit etwas Kauderwelsch. Nehmen wir an …

    … ine text weird so gashreebn

    Was, das haben Sie jetzt nicht verstanden? Nun, gemeint war: „ein Text wird so geschrieben“ – aber statt der im Deutschen üblichen haben wir eine englische Schreibweise gewählt. So oder so ähnlich hört es sich für Screenreader-Nutzer:innen an, wenn bei einer deutschsprachigen Webseite die Sprache im Code als Englisch angegeben wird. Der deutsche Text wird dann mit englischer Aussprache gelesen. Um so etwas zu vermeiden und damit die Inhalte auf Webseiten durchwegs lesbar und verständlich sind, sehen die WCAG vor, dass nicht nur der Webseite die richtige Hauptsprache zugeordnet wird, sondern auch einzelne Textteile, die von dieser Hauptsprache abweichen, in der richtigen Sprache gekennzeichnet werden.

    Interessieren Sie die Details?

    Bei all diesen Hürden handelt es sich nicht um eine willkürliche Auswahl, sondern um jene häufigsten Mängel, auf die die FFG beim Testen öffentlicher Webseiten, die laut Web-Zugänglichkeits-Gesetz den WCAG 2.1 Stufe AA entsprechen müssen, gestoßen ist. Wenn Sie dazu Genaueres nachlesen wollen, können Sie das im Bericht der FFG unter folgendem Link machen: https://www.ffg.at/digitale-barrierefreiheit/digitales-zugaenglich-machen/top7issues