Fang den Lift: Aufzüge und ihre Tücken Teil 1
Klassisch sind Aufzüge ja etwas, das beim Überwinden von Barrieren hilft. Moderne technische Entwicklungen könnten sie diese Aufgabe noch besser erfüllen lassen. Oft ist leider das Gegenteil der Fall: Statt alte Hürden zu beseitigen werden neue geschaffen.
Sind Sie schon einmal ratlos vor einem Lift gestanden und haben gehofft, dass sich Ihnen das Geheimnis, wie Sie ihn rufen können, auf magische Weise offenbart? Mir ist das schon passiert. Vor ungeduldig wartendem Publikum. Mit minütlich steigenden Selbstzweifeln. Und letztlich ohne eine Lösung zu finden. Wie es dazu kam, warum so etwas allen passieren kann, wie Sie der Situation teilweise entgehen können und wo wir alle auf die Einsicht der Liftindustrie hoffen müssen, das alles erfahren Sie am heutigen Mehrsinne-Mittwoch.
Meine erste Begegnung
Es ist schon eine ganze Weile her, da sollte ich einer interessierten Gruppe anhand von Beispielen in ihrer unmittelbaren Umgebung zeigen, was der Barrierefreiheit gut tut und wovon man lieber seine Finger lassen sollte, wenn man Zugänglichkeit für alle schaffen möchte. Aufzüge sind meist eine wahre Fundgrube für beides: Von Haus aus denken viele einmal, dass sie mit Barrierefreiheit quasi gleichzusetzen sind. Findet man dann eine viel zu schmale Tür, eine Mini-Liftkabine oder drei Stufen auf dem Weg zum Lift vor, ist diese Illusion schon angekratzt. Aber selbst, wenn Erreichbarkeit und Platzangebot hervorragend sind, kommt oft das böse Erwachen, wenn nicht erkennbar ist, was passiert, wenn man einen bestimmten Knopf drückt. Etwa, weil die Beschriftung fehlt, schlecht sichtbar ist oder nicht ertastet werden kann.
Was sich mir damals in den Weg gestellt hat, war ein solches Bedienelement-Problem in Bestform: Anstatt eines schlichten Rufknopfs hatte ich es mit einer Zehnertastatur zu tun. Kernelement einer jeden Zielrufsteuerung.
Ziel-Ruf-Was?
Ziel-Ruf-Steuerung. Ich finde, das ist eines von diesen Wörtern, das eigentlich nur versierte Fachleute irgendeiner Nischensparte kennen. Dann hat man selbst damit zu tun, weil die Sache, die es bezeichnet, im eigenen Alltag Probleme macht. Plötzlich wirft man mit dem Wort um sich, als wäre es das Selbstverständlichste der ganzen Welt. Und man wundert sich sehr, dass nicht alle wissen, was man damit meint, wenn man es sagt. Dabei hat man ganz vergessen, dass man es noch vor kurzem genauso wenig gewusst hätte. So ging es mir mit der Zielrufsteuerung.
Als ich damals vor dem Aufzug mit der mysteriösen Zehnertastatur, also so einer wie auf einem Telefon, stand, schoss mir das Wort sofort durch den Kopf. Ich hatte mich nämlich seit einiger Zeit dafür eingesetzt, dass in der europäischen Norm für barrierefreie Aufzüge Dinge festgelegt werden, die barrierefreie Aufzüge ausmachen. Für manche ein absurder Ansatz, wie ich lernen musste. Die Zielrufsteuerung kam dabei ganz oft vor, weil sie nämlich gerade sehr modern ist, aber leider alles andere als barrierefrei nutzbar.
Also was denn jetzt? Wir warten!
Eigentlich erklärt der Name der Zielrufsteuerung schon, wie sie funktioniert. Oder zumindest, wenn man es einmal weiß, denkt man sich, der Name passt schon irgendwie dazu. Die Zielrufsteuerung ist ein System, bei dem Sie den Aufzug nicht nur zu sich rufen, sondern ihm auch gleich sehr genau sagen, wohin er Sie dann bringen soll – also das Ziel.
Eigentlich erklärt der Name der Zielrufsteuerung schon, wie sie funktioniert. Oder zumindest, wenn man es einmal weiß, denkt man sich, der Name passt schon irgendwie dazu. Die Zielrufsteuerung ist ein System, bei dem Sie den Aufzug nicht nur zu sich rufen, sondern ihm auch gleich sehr genau sagen, wohin er Sie dann bringen soll – also das Ziel.
Eine Minimalversion der Zielrufsteuerung kennen wir auch schon bei diesen Systemen: Wenn es nämlich nicht nur einen Rufknopf gibt, sondern zwei, bedeutet das, dass Sie eingeben müssen, ob Sie hinauf oder hinunter wollen. Und je nachdem, welchen Knopf Sie drücken, kommt bei einer Anlage mit mehreren Liften dann der als erster zu Ihnen, der gerade in die Richtung unterwegs ist, in die Sie wollen. Schon das ist nicht immer ganz unproblematisch. Wenn mehrere Leute auf einen Lift warten, aber in unterschiedliche Richtungen wollen, kann es schon einmal passieren, dass Sie in einen einsteigen, der vom Erdgeschoß aus zunächst einmal eine Ehrenrunde bis in die tiefste Tiefgarage dreht, bevor er Sie in den ersten Stock bringt, wo Sie eigentlich hin wollten.
Was die Zielrufsteuerung ist, wollen wir wissen!
Aja, genau. Auf die Erklärung haben Sie jetzt mindestens so lange gewartet wie die Leute hinter mir, als ich zum ersten Mal einem Aufzug mit Zielrufsteuerung begegnet bin. Das oben beschriebene Szenario schaut hier im Optimalfall in etwa so aus: Sie stehen vor einer Aufzugtür. Sie wollen, dass der Aufzug kommt und seine Türe für Sie öffnet. Sie suchen also unmittelbar daneben nach einem Knopf. Sie finden mehr als das: eine ganze Telefontastatur voller Knöpfe. Sie wissen, dass das bedeutet, dass Sie nun die Ebene eingeben müssen, in die Sie fahren wollen. Da Sie in den vierten Stock wollen, drücken Sie die Nummer „4“ auf der Tastatur. Auf einem Display wird nun angezeigt, in welchen Lift Sie einsteigen müssen, sobald er da ist. Solche Systeme sind nämlich eigentlich ausschließlich für Anlagen mit mehreren Liften gedacht. Nehmen wir an, Ihnen wurde der Lift mit der Bezeichnung „B“ zugewiesen. Sie halten also Ausschau nach diesem Lift. Sobald sich seine Türen öffnen, steigen Sie ein und werden automatisch in den 4. Stock gebracht.
Fehler gefunden?
Eigentlich habe ich Sie ja gar nicht dazu aufgefordert, nach welchen zu suchen. Ist Ihnen vielleicht trotzdem etwas aufgefallen? Auf den ersten Blick hört sich das System für manche ja ganz gemütlich an. Erstens erscheint es schlüssig, dass Anlagen mit vielen Aufzügen damit sehr viel effizienter arbeiten und Sie daher schneller an Ihr Ziel kommen. Das ist auch das Hauptargument, weswegen sie mit so großer Begeisterung eingesetzt werden. Zweitens klingt es verlockend, sich nur mit einem Bedienelement vertraut machen zu müssen und das auch noch in Ruhe im Stockwerk tun zu können, anstatt in einer möglicherweise überfüllten Liftkabine, die sich schon fröhlich durch die Gegend bewegt und damit Stress macht.
Klingt nach einer perfekten Welt, oder? Sie denken, da wird der Hund wohl im Detail zu finden sein? Ja, da denken Sie richtig!
Umdenken ist angesagt
Problem Nummer eins ist, dass viele ein solches System nicht gewöhnt sind und deshalb verunsichert bis verzweifelt vor der Zehnertastatur stehen. Fairerweise muss man sagen, da kann die Zielrufsteuerung an sich nicht wirklich etwas dafür. Und trotzdem, das Intuitivste vom Intuitiven ist es halt nicht.
Teilweise wird das System in einer Form eingesetzt, bei der man sich die händische Eingabe ersparen kann oder sie zumindest erleichtert wird. In einem Hotel zum Beispiel kann für Gäste das Stockwerk, in dem sie untergebracht sind, auf einer Chipkarte gespeichert werden. Die müssen Sie dann zum Rufen des Liftes nur mehr an das Bedienelement halten und das Ziel wird automatisch ausgelesen. Was tun Sie aber, wenn Sie nicht immer nur in Ihr Zimmer wollen, sondern beispielsweise auch einmal den Fitnessraum, die Dachterrasse oder das Restaurant ausprobieren oder gar Ihre Reisebegleitung in einem anderen Stockwerk besuchen möchten? Für solche Fälle kann zur Unterstützung der Eingabe eine Auswahl von Zielen auf der Karte gespeichert und dann beim Bedienelement hervorgehoben werden. Ganz kommen Sie dann um die händische Eingabe trotzdem nicht herum. Und bei Systemen, die das können, handelt es sich meist um welche, bei denen Touchscreens zum Einsatz kommen, die die Bedienung ganz besonders schwierig machen. Dazu ein anderes Mal mehr. Was Sie jedenfalls selbst bei der Einschränkung auf ein einziges Ziel nicht umgehen können, sind die anderen beiden Probleme.
Wegweiser wahrnehmen
Problem Nummer zwei: Woher weiß ich, welchen Lift ich nehmen muss? „Na das steht doch auf dem Display“, werden Sie jetzt sagen, wenn Sie oben aufmerksam gelesen haben. Das stimmt schon. Aber was, wenn Sie dieses Display nicht gut oder gar nicht sehen können? Da war doch so etwas namens Mehrsinne-Prinzip. Wie könnte das hier aussehen? Einen Lösungsansatz haben die Hersteller:innen mittlerweile ausgetüftelt und liefern ihn oft mit. Ich finde, es ist halt nicht viel mehr als ein Ansatz. Aber urteilen Sie selbst.
Für alle, die das Display nicht lesen können, gibt es einen Knopf, den Sie drücken können, um sich die Informationen vorlesen zu lassen. Dieser Knopf ist standardmäßig mit einem Rollstuhl gekennzeichnet, der auch tastbar ausgeführt werden muss. Ganz ehrlich: Würden Sie erwarten, dass sich hinter einem Knopf mit Rollstuhl-Symbol eine Sprachausgabe verbirgt? Einmal ganz abgesehen davon, dass dieses Symbol tastend nicht unbedingt leicht zu erkennen ist. Aber das ist noch nicht alles. Nehmen wir an, Sie wissen von dem Knopf, finden ihn und drücken ihn. Wenn Sie etwas verstehen wollen, müssen Sie sich auf zwei Dinge verlassen können: Die Sprachausgabe muss richtig gut hörbar sein, und zwar auch in einem großen Gebäude mit vielen Menschen und anderen Geräuschquellen rundherum. Und Sie müssen die Sprache verstehen, in der die Informationen angesagt werden. Letzteres gilt zwar grundsätzlich auch bei der visuellen Anzeige, aber ich behaupte einmal, dass es oft noch eher möglich ist, die wesentliche Information in einer Fremdsprache aus geschriebenem Text herauszufiltern als aus gesprochenem. Wie dem auch sei, beide Faktoren können ernstzunehmende Hindernisse sein, wenn es darum geht, den richtigen Lift zu finden.
Ziel gerufen ist nicht gleich Ziel gefunden
Selbst, wenn Sie es geschafft haben zu erfahren, welcher Lift Sie an Ihr Ziel bringt: Woran erkennen Sie diesen Lift und wie finden Sie ihn? Ganz einfach ist das, wenn es sich um nur einen Lift handelt. Dort eine Zielrufsteuerung einzusetzen ergibt allerdings überhaupt keinen Sinn, weil ja ihr Zweck ist, Anlagen mit vielen Liften effizient zu koordinieren. Wahrscheinlich ist es auch noch recht gut zu schaffen, wenn Sie alleine vor einer überschaubaren Anzahl von Aufzügen warten. In dem Fall wir nur einer kommen und die Türe öffnen. Die Chancen stehen gut, dass es sich dabei um den handelt, in den Sie einsteigen müssen. Sobald sich aber mehrere Personen gleichzeitig verschiedene Ziele gewünscht haben, funktioniert das so nicht mehr. Eine gut sichtbare Kennzeichnung der Aufzüge mit deren Bezeichnung – zum Beispiel „A, B, C“ – hilft allen, die sie sehen können. Aber welche Alternative könnte hier Personen, die diese Kennzeichnung nicht sehen, geboten werden, damit sie irgendeine Chance haben, den zugeteilten Lift zu erkennen und auch noch zu erreichen, bevor er wieder losfährt? Das ist ein bisher ungelöstes Rätsel.
Bonusproblem fürs nächste Mal
Was ich jetzt nur kurz angesprochen habe, ist ein Problem, das sehr oft in Kombination mit Zielrufsteuerungen auftritt, aber eigentlich auch unabhängig davon in puncto Zugänglichkeit für alle für Kopfzerbrechen sorgt. Die Rede ist von Bedienelementen mit Touchscreen. Genaueres dazu gibt es an einem der nächsten Mehrsinne-Mittwoche zu lesen.
Zurück zu mir
Oder besser gesagt: zu meiner Geschichte vom Anfang. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, vor der Zehnertastatur. Die war in diesem Fall eher harmlos. Ganz ohne Touchscreen, sogar mit erhabenen Ziffern auf relativ großen Tasten. Kontrast hatten die Ziffern gar keinen, aber das war nicht das größte Problem. „Ha!“, dachte ich mir. Und das aus zwei Gründen: Erstens wähnte ich mich im Vorteil gegenüber anderen Nutzer:innen, weil ich das System ja aus der Theorie kannte. Zweitens war ich ganz froh über den Anlass, der Gruppe erläutern zu können, warum man sich den Einbau eines solchen System im Zusammenhang mit Barrierefreiheit mehr als zweimal überlegen sollte. Insbesondere in einem Fall wie dort, wo es sich um einen einzigen einsamen Aufzug handelte, bei dem das Effizienzargument auf keinen Fall greift.
Bald wurde das Gefühl des Triumphs aber von purer Verzweiflung überlagert. Ich stand da im Erdgeschoß und wollte nichts anderes, als eine Ebene hinunter zu fahren. Dort sollte übrigens das barrierefreie WC unter die Lupe genommen werden. Es ist also im Alltag nicht einmal so unwesentlich, mit dem Aufzug rasch dorthin zu kommen. Neben dem Aufzug gab es sogar einen ganzen A4 Zettel mit einer Bedienungsanleitung. Aber egal, was ich eintippte, der Aufzug ließ sich einfach nicht dazu bewegen, mich in das erste Untergeschoss zu bringen.
Und jetzt zu Ihnen
Nach all diesen Informationen denken Sie sich jetzt vielleicht: „Na das sind ja prachtvolle Aussichten! Aber was soll es mir bringen zu wissen, dass ich vielleicht bald keinen Aufzug mehr nutzen kann?“ Nun ja, dazu kann ich nur sagen: Vorsätzlich frustrieren wollte ich Sie natürlich nicht. Vielleicht hilft es ja doch in der Praxis schon ein bisschen, zu wissen, dass es diese Systeme gibt und wie sie funktionieren. Barrierefrei zugänglich und nutzbar werden sie dadurch natürlich nicht, aber möglicherweise gelingt mehreren ratlosen Personen künftig die Nutzung mit vereinten Kräften, wenn Sie als informierte Person mit von der Partie sind.
Abgesehen davon haben wir es meiner Meinung nach hier mit einem Problem zu tun, das sehr viel mehr Leute betrifft als nur diejenigen, deren Bedürfnisse oft einmal mit dem Argument, sie wären „besonders“, abgetan werden. Ich möchte nicht ausschließen, dass es Menschen gibt, die einen Aufzug aufsuchen, um ihre Fähigkeiten im Rätsellösen auf die Probe zu stellen. Dennoch, der eigentliche Zweck eines Aufzugs – das behaupte ich jetzt einfach einmal ganz dreist – ist das nicht.
Letztendlich braucht es wie so oft die Einsicht bei den Verantwortlichen, die solche Systeme anbieten und einsetzen. Und damit es dazu hoffentlich irgendwann kommt, braucht es viel Sensibilisierungsarbeit. Je mehr Menschen bewusst wird, dass sie mit ihrer Ratlosigkeit angesichts solcher Systeme nicht alleine sind und es nicht an ihnen liegt, dass sie damit nicht gut zurechtkommen, desto eher werden sich die Hersteller:innen etwas überlegen, um die Probleme zu lösen.
Kontakt
Wie geht es Ihnen mit Zielrufsteuerungen und anderen Zugangsbarrieren bei Liften? Wenn Sie wollen, teilen Sie gerne Ihre Erfahrungen mit Doris Ossberger unter do@wortklaviatur.at!