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Nichts Neues

Nichts Neues im Mai 2024

    Weniger ist mehr: Weniger Aufmerksamkeit, mehr Selbstverständlichkeit

    Heute ist der dritte Donnerstag im Mai und damit Global Accessibility Awareness Day. Weltweit machen Institutionen und Organisationen darauf aufmerksam, wie wichtig digitale Barrierefreiheit und Inklusion sind. Mein Wunsch zum Aufmerksamkeitstag ist weniger Aufmerksamkeit.

    „Das war’s, den Blödsinn tu‘ ich mir nicht an“, denken Sie sich jetzt vielleicht. Aber ich bitte Sie: Geben sie mir eine Chance, bevor Sie das Gerät an die Wand werfen, auf dem Sie das hier gerade lesen. Warum sollten Sie das tun? Erstens: Das Gerät kann nichts dafür. Und zweitens: Sie kennen mich. So, wie das klingt, kann ich es doch nicht meinen. Aber wie meine ich es dann?

    Was weiß ich, wer Sie sind

    In meiner Idealvorstellung sind Sie, die Leser:innen meiner Artikel, eine ganz vielfältige Gruppe von Menschen mit verschiedensten Eigenschaften, Fähigkeiten, Erfahrungen, Sichtweisen, Vorlieben, Interessen, Gewohnheiten und vielem mehr. In einigem unterscheiden Sie sich wahrscheinlich voneinander. Bestimmt haben Sie auch so manche Gemeinsamkeit. Eine davon kann ich sogar erahnen: Sie interessieren sich, aus welchen Gründen auch immer, für die Themen, über die ich gerne schreibe. Das haben Sie übrigens auch mit mir gemeinsam.

    Noch mehr Gemeinsamkeiten

    Wenn wir schon beim Lesen von Artikeln wie diesem sind: Auch da gibt es vieles, das uns allen gleichermaßen bekannt vorkommt. Wir lesen solche Texte auf Geräten wie einem PC, einem Tablet oder einem Smartphone – womöglich sogar auf ähnlichen Modellen mit der gleichen Software.

    Wir alle erwarten uns, dass die Geräte tun, was wir von ihnen wollen. Wir alle haben unsere eigene Routine dabei, sie zu nutzen. Wir schätzen digitale Medien für die Möglichkeiten, die sie uns eröffnen, für die Informationen, die sie uns zugänglich machen, für die Wege, die sie uns ersparen.

    Wir wollen uns darauf verlassen können, dass sie all das tun. Wir genießen es, ein Informationsblatt überall auf Knopfdruck herunterladen und lesen zu können, an Besprechungen und Fortbildungen vom Wohnzimmer aus teilzunehmen und zwischendurch den Wocheneinkauf im online Shop zu erledigen, die nächste Reise zu planen und am Bankkonto zu überprüfen, ob sich das alles ausgeht.

    Wir ärgern uns, wenn wir in einem Dokument anstatt der erwarteten interessanten oder gar wichtigen Informationen nur eine Fehlermeldung finden, wenn wir in der Videokonferenz-Software das Mikrofon nicht ein- und ausschalten können, wenn wir im Webshop ewig nach einem Produkt suchen müssen, wenn wir bei der Ticketbestellung die Reisedaten nicht eingeben können oder wenn beim E-Banking die Schaltfläche zum Einsehen des Kontoauszugs nicht reagiert. Mitunter ärgern wir uns nicht nur, sondern sind verunsichert oder verzweifeln.

    Wie kommen Sie dazu?

    Zurück zum Artikel und wie wir ihn lesen: Bei allen Gemeinsamkeiten, einiges ist dabei auch verschieden. Zum Beispiel nehme ich an, dass viele von Ihnen den Text über Kopfhörer anhören oder vielleicht auch auf der Braillezeile ertasten. Ich selbst lese ihn meistens vom Bildschirm ab, denn das fällt mir am leichtesten.

    Bestimmt haben Sie auch unterschiedliche Gründe, aus denen Sie den Artikel lesen. Vielleicht haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Sie in meinen Texten hin und wieder Informationen finden, die Ihnen in Ihrem persönlichen Alltag weiterhelfen. Möglicherweise interessieren Sie sich für barrierefreie Gestaltung und eine Suchmaschine hat sie hergeführt. Oder Sie waren in einer meiner Lehrveranstaltungen und sind dem dezenten Hinweis auf weiterführende Informationen in meinem Blog gefolgt.

    Wie auch immer Sie dazu gekommen sind: Ich freue mich natürlich sehr, Sie zu meiner Leserschaft zählen zu dürfen. Und dennoch: Reibungslose Abläufe und entspannte Nerven sind ganz offensichtlich allen Menschen ein Bedürfnis. Barrierefreie Gestaltung – oder schöner: Universal Design – trägt maßgeblich dazu bei. Das ist nichts Neues. Warum fühlen sich trotzdem nur vergleichsweise wenige Menschen von dem Thema angesprochen? Warum schiebt man es so gerne in Richtung Nische?

    So war es gemeint

    Bewegen wir uns wieder weg von meinen Artikeln, denn die sollten eigentlich nur als eines von vielen Beispielen dafür herhalten, worauf ich hinauswollte: Die große Barriere, die der Barrierefreiheit entgegensteht, ist in gewisser Hinsicht zu viel Aufmerksamkeit.

    Und zwar die Art von Aufmerksamkeit, die Menschen mit Behinderungen als eine Gruppe hervorhebt, für die man spezielle Maßnahmen treffen muss. Maßnahmen, die im Vergleich zu dem, was als „normal“ anerkannt ist, einen erheblichen Mehraufwand bedeuten. Einen Mehraufwand, den man unter Umständen auch durchaus zu leisten bereit ist, aber nicht ohne deutlich darauf aufmerksam zu machen, dass es sich dabei um einen Gefallen handle, den man einer eigentlich kleinen Randgruppe tue.

    Solange diese Auffassung vorherrscht, ist es schon wichtig, das Bewusstsein auf Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit zu lenken. Denn noch schlimmer als zu viel Aufmerksamkeit ist Gleichgültigkeit. Das Ziel sollte aber sein, dass die Anforderung, barrierefrei zu gestalten, keine besondere Aufmerksamkeit mehr erregt, sondern ganz selbstverständlich umgesetzt wird und niemand sich mit weniger zufrieden gäbe – für sich selbst nicht und schon gar nicht für andere.

    Kontakt

    Wie stehen Sie dazu? Legen Sie Wert darauf zu betonen, dass barrierefreie Gestaltung in erster Linie für Menschen mit Behinderungen da ist? Können Sie dem Wunsch etwas abgewinnen, stattdessen das Spektrum dessen, was als „normal“ betrachtet wird, zu erweitern? Oder fällt Ihnen dazu überhaupt etwas ganz anderes ein? Wenn Sie Lust haben, teilen Sie Ihre Gedanken mit mir in einer E-Mail an do@wortklaviatur.at

    Nichts Neues im April 2024

      Was ich will, entscheide ich:
      Gegen Irreführendes im Internet

      Einmal kurz nicht aufgepasst, und schon bezahlen Sie für etwas, das Sie nie haben wollten. So etwas kann zum Beispiel beim online Einkaufen leicht passieren. Seit 17.2.2024 darf es das aber nicht mehr. Und zwar niemandem.

      Eigentlich wollte ich mich ja schon Anfang des Jahres mit meinem eigenen Blog bei Ihnen zurückmelden. Der Umstand, der mich daran gehindert hat: Ich war krank. So krank, dass ich kaum arbeiten konnte – im Homeoffice nicht und im Haushalt genauso wenig. Einkaufengehen war die meiste Zeit ein Ding der Unmöglichkeit, Kochen für die Familie Tag für Tag eine Herausforderung. So unangenehm das alles war, wenigstens ein Gutes hatte die Sache: Das Thema für den Artikel, den Sie gerade lesen, ist mir wie von selbst in die Hände gefallen. Und zwar, als ich für ein Abendessen irrtümlich viel zu viel bestellt und noch mehr bezahlt habe.

      Selbst schuld?

      Die App, mit der man sich via Smartphone Essen aus verschiedensten Restaurants liefern lassen kann, hatte ich schon öfters genutzt. Mit den Abläufen war ich vertraut. Inmitten von knurrenden Mägen, murrenden Kindern und meinem brummenden Schädel habe ich mich darauf gefreut, alles flott hinter mich bringen zu können und die nächste Dreiviertelstunde in Ruhe dem Essen entgegendösen zu dürfen. Stattdessen habe ich den restlichen Abend lang vor allem eines gemacht: mich geärgert. Als ich nämlich nach der verbleibenden Lieferzeit schauen wollte, stellte ich mit Erschrecken fest: Zu jedem Hauptgericht hatte ich, ohne es zu bemerken, ein Getränk und eine Nachspeise bestellt. Stornierungsversuche sowohl beim Betreiber als auch direkt beim Restaurant waren zum Scheitern verurteilt. Das Fatale war: Als ich den Fehler bemerkte, hatte ich die Bestellung bereits bezahlt. Damit hatte ich dem Vertrag zugestimmt. AGBs sind AGBs, was soll man machen? Und so sehr ich mich auch betrogen und verhöhnt fühlte, musste ich mir doch eingestehen: Ich hätte die Rechnung eben vor dem Bezahlen kontrollieren müssen. Dann wäre das alles nicht passiert.

      REingefallen

      Doch bei aller berechtigten Empörung über die eigene Blödheit, so einfach ist die Sache auch wieder nicht. Das erfuhr ich, als ich mich nach einer schlaflosen Nacht an die Arbeiterkammer wandte. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass man mir die ungewollten Artikel bewusst untergejubelt hatte. Und tatsächlich: Womit ich es hier zu tun hatte, hat sogar einen Namen.

      Prozesse, die so gestaltet sind, dass sie Verbraucher:innen gezielt zu bestimmten, Entscheidungen oder Verhaltensweisen verleiten, ehe sie erkennen können, dass sie für sie vielleicht gar nicht vorteilhaft sind, nennt man „Dark Patterns“, also „dunkle Muster“. Ein klassisches Beispiel dafür, dem Sie sicherlich auch schon begegnet sind, sind Cookie-Dialoge. Oft ist die Schaltfläche „Alle Cookies akzeptieren“ ganz prominent und unübersehbar im Vordergrund, während andere Optionen, wie zum Beispiel „Nur technisch notwendige Cookies akzeptieren“, klein und grau am Rand darauf hoffen, nicht entdeckt zu werden. Die Erwartung dahinter ist, dass Sie den einfachsten Weg auf die Seite, zu der Sie eigentlich wollten, wählen, ohne lange zu überlegen, welche Vor- und Nachteile die Cookies für Sie haben könnten. Und meist passiert auch genau das.

      DAs gute alte Kleingedruckte

      Die Falle, in die ich bei der Essensbestellung getappt bin, arbeitet mit einem ganz ähnlichen Trick: Die grafische Gestaltung sorgt dafür, dass auffällt, was auffallen soll, und alles andere quasi verschwindet. Hat man eine Speise gewählt, kann man in einem Menü kostenlose Optionen wie „mild“, „mittel“ oder „scharf“ ankreuzen. Dass im selben Menü weiter unten auch kostenpflichtige Artikel wie Getränke, Beilagen und Desserts angeboten werden und einige davon standardmäßig ausgewählt sind, sieht man zunächst nicht. Um es zu bemerken, müsste man hinunter scrollen. Dazu hat man aber, wenn man sowieso nichts dazu bestellen möchte, keine Veranlassung. Und so ist man direkt froh über die schön auffällige Schaltfläche am unteren Bildschirmrand, mit der man die Speise in den Warenkorb legen kann.

      Dort, im Warenkorb, liegt dann alles ganz korrekt – auch das Unerwünschte. Das Problem ist aber: Wirklich auffallen tut es noch immer nicht, denn es ist ganz dezent in zarter, kleiner, grauer Schrift im Fließtext unterhalb der Speise angeführt, zu der es sich dazu geschummelt hat. Der Preis ist freilich ein höherer, als bei dieser Speise auf der Speisekarte angeführt ist. Aber wer ist schon so misstrauisch, das noch einmal zu vergleichen. Ich war es leider nicht.

      Gekonnt versteckt, bewusst manipuliert

      Lasse ich den Ärger einmal beiseite, fällt mir etwas Interessantes auf: In Marketing und Werbung bedient man sich oft derselben Methoden wie in der barrierefreien Gestaltung von Informationen. Zum Beispiel nutzt man gute Kontraste und gut leserliche Schrift, um sicherzugehen, dass niemand übersieht, was man zeigen möchte. Man schreibt Texte so, dass alle sie leicht verstehen können. Und man gestaltet Prozesse, wie zum Beispiel das Abschließen eines Vertrags oder den Kauf eines Produktes, so unkompliziert wie möglich, sodass alle sicher und schnell ans Ziel kommen.

      Das alles ist nichts Neues. Bei den Dark Patterns geht man noch weiter: Was niemand lesen soll, versteckt man durch kleine, schlecht leserliche Schrift. Was niemand zu genau verstehen soll, formuliert man möglichst kompliziert. Den Weg zum Abmelden und Stornieren von etwas gestaltet man langwierig und mühsam. Gerne setzt man die Nutzer:innen zusätzlich mit Meldungen wie „Nur mehr 2 auf Lager“ unter Druck, Entscheidungen besonders schnell treffen zu müssen.

      Eines ist klar: Wer solche Mittel einsetzt, weiß ganz genau, was Informationen gut zugänglich macht und was nicht.

      Keine Frage von Kulanz

      Zurück zu meiner Annahme, ich hätte eben genauer schauen müssen: Vor diesem ganzen Hintergrund der gezielten Manipulation, ist es wirklich fair, die ganze Verantwortung bei mir selbst zu sehen? Seit ich über Dark Patterns Bescheid weiß, weiß ich, dass es das nicht ist. Und ich weiß, dass die Gesetzgebung das auch so sieht. Das ist nicht einmal so neu: Laut Information des Vereins für Konsumenteninformation sind solche manipulativen Praktiken schon gemäß Datenschutz-Grundverordnung und Bundesgesetz gegen unlauteren Wettbewerb nicht zulässig. Mit dem Digital Services Act ist nun auch ein europaweit gültiges Gesetz in Kraft, das Dark Patterns explizit verbietet. Verstöße dagegen kann man der KommAustria melden. Interessant wäre, inwieweit man auch auf Basis von Web-Zugänglichkeits-Gesetz und Barrierefreiheitsgesetz gegen Dark Patterns vorgehen kann, indem man die Verstöße gegen digitale Barrierefreiheit aufzeigt.

      Gleiches Recht für alle

      Dass man sich nicht für so dumm verkaufen lassen muss, wie man sich vielleicht nach einem Erlebnis wie dem, von dem ich Ihnen erzählt habe, fühlt, ist schon einmal gut zu wissen.

      Als Verfechterin des sogenannten Universal Design bin ich aus einem weiteren Grund fast froh, dass ich dazu gezwungen war, mich näher mit Dark Patterns auseinanderzusetzen: Sie sind ein großartiges Beispiel dafür, welche wichtige Rolle digitale Barrierefreiheit für alle Menschen spielt, um ohne Ärger durch die digitale Welt spazieren zu können. Das Recht auf Barrierefreiheit betrifft uns also alle unmittelbar und hat in Nischen nichts zu suchen.

      Kontakt

      Haben Sie sich auch schon einmal über etwas geärgert, das Sie jetzt als Dark Pattern erkennen? Schätzen Sie sich vielleicht gerade glücklich, dass Sie am Computer mit dem Screenreader unterwegs sind und ausnahmsweise von den absichtlich eingebauten grafischen Barrieren unberührt bleiben? Oder finden Sie, Manipulation hin oder her, man muss schon auch selbst denken und Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen? Schreiben Sie mir eine Mail an do@wortklaviatur.at – ich bin gespannt, auf welche Gedanken Sie meine Überlegungen bringen!