Barrierefrei mit Baukasten: WordPress und mein Nervenkostüm
Trat ich heute vor die Türe, sapperlot, was sah ich da? Keine Vögel beim Tanzen, wie es der eben angesungene Faschingsohrwurm erwarten ließe, dafür einiges zum Wegkehren. Und zwar nicht unter den Teppich, sondern ab in den digitalen Dienstag!
Die Rede ist von meiner virtuellen Türe, dem Zugang zu meiner Webseite, die ich mir als angehende Kleinunternehmerin einbilde zu brauchen, um auf dem Markt eine Chance zu haben. Dass die Seite für alle zugänglich sein soll, versteht sich von selbst. Schon einmal deshalb, weil ich nicht Wasser predigen und dann die Welt mit Wein überfluten kann. Aber ganz abgesehen davon schmeckt dieses Wasser ja wirklich gut und ist gesund – blöd wäre ich, auf den Erfolgsfaktor Barrierefreiheit einfach zu verzichten.
Selbst ist die Frau
Wenn ich gleich erzähle, wie ich mich als absolute Webdesign-Amateurin an die Gestaltung meiner Webseite gemacht habe, werden sich Profis auf dem Gebiet vermutlich an den Kopf greifen, die Augen verdrehen und sich etwas denken wie: ‚Meine Güte, was erwartet sie sich denn – es hat halt einen Grund, dass man so etwas Leute machen lässt, die sich damit auskennen!‘. Das stimmt sicher. Allerdings geht es mir wie wahrscheinlich den meisten am Beginn einer selbständigen Berufstätigkeit: Meine finanziellen Ressourcen erlauben mir nicht gerade, mit Geld um mich zu werfen, und wo ich eine Möglichkeit sehe, etwas einzusparen, tue ich das auch – wohlwissend, dass es mich vielleicht dafür etwas mehr Zeit und Nerven kosten wird.
Zurechtfinden im Baukastendschungel
Nicht zuletzt werben ja verschiedenste Anbieter damit, dass es im Grunde kinderleicht ist, ohne jegliche Vorkenntnisse eine Webseite zu kreieren, die sich sehen lassen kann. Ich möchte, dass sie sich nicht nur richtig deutlich sehen, sondern auch genauso gut hören lassen kann. Und nicht nur das. Ich will zumindest bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen können, wie die Seite aussieht und aufgebaut ist. Eine vorgefertigte Webseite mit unveränderbarem Design, wo ich nur mehr meine Inhalte eingeben muss, kommt für mich also nicht in Frage – so praktisch das für manch andere:n sein mag. Dass ich flexibel gestalten kann, ist mir sehr wichtig. Vom Programmieren habe ich allerdings absolut keine Ahnung. Deshalb bin ich zum Webseitenbasteln auf Bausteine und Werkzeuge angewiesen, die meine Nicht-Programmier-Sprache sprechen. WordPress, so erfahre ich, ist genau auf Bedürfnisse wie meine ausgerichtet. Und mehr noch: Angeblich ist auch die Barrierefreiheit dabei keine Hexerei. Ich bin überzeugt. Es kann losgehen.
Die Qual der Layout-Wahl
Als Grundgerüst für die Webseite darf man sich bei WordPress zunächst einmal ein sogenanntes „Theme“ aussuchen. Davon gibt es unzählige und überhaupt als Neuling auf dem Gebiet bin ich von der Auswahl auf den ersten Blick komplett überfordert. Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, helfen mir die beiden für mich wesentlichsten Kriterien beim Eingrenzen der Suche: Das Theme darf mich nichts kosten und es muss auf Barrierefreiheit ausgerichtet sein. Beides lässt sich als Suchfilter problemlos einstellen und siehe da: Von etwa 5.400 kostenlosen Themes werden mir nur mehr 88 „für Barrierefreiheit geeignete“ angeboten. Etwas kniffliger ist es mit dem dritten Kriterium, auf das ich Wert lege: die Möglichkeit, selbst Anpassungen vorzunehmen. Gerade bei den kostenfreien Themes ist oft besonders vieles fix vorgegeben. Möchte man mehr Gestaltungsfreiheit, muss man tiefer in die Tasche greifen. Um herauszufinden, was genau ein Theme diesbezüglich bietet, führt kein Weg daran vorbei, es sich probeweise zu installieren und im Detail anzuschauen.
Schrittweises Herantasten
Wie dem auch sei, nach ein bisschen Recherche und Herumprobieren habe ich mich für ein Theme entschieden, die Entscheidung über den Haufen geworfen, eine andere getroffen, sie revidiert, gegen die Verzweiflung und den Drang, mir professionelle Hilfe zu holen, angekämpft, mich aufgerappelt, diesen ganzen Prozess einige Male durchgemacht und letztlich ein Theme gefunden, mit dem ich ganz zufrieden bin und bei dem ich bleibe. „Neve“ heißt es.
Ausgestattet mit dem Motivationskick, den mir der endlich gelungene Schritt gegeben hat, mache ich mich also an die Arbeit. Ich erstelle ein Hauptmenü, setze mein Logo davor und verpasse ihm einen Alternativtext. Ich spiele mit den Farben, Schriftarten und -größen und dem gesamten Layout herum, bis es mir gefällt. Neve erlaubt mir hier wirklich ziemlich viele Einstellungsmöglichkeiten über Menüs, mit denen ich nach einer kurzen Gewöhnungsphase ganz gut zurechtkomme. Nebenbei gesagt, für mich ist das genau, was ich wollte, und ich achte natürlich nach bestem Wissen und Gewissen auf gute Sichtbarkeit aller Elemente. Tut das jemand – mit oder ohne Absicht – nicht, birgt es das Risiko, dass die Barrierefreiheit mit wenigen Klicks den Bach runter geht. Da hilft dann das bestgemeinte Grundgerüst nichts.
Plugins zum Aufmotzen
Wenn das Theme etwas nicht kann, das man gerne hätte, muss man auch nicht unbedingt gleich in den Programmiercode einsteigen. Für viele Eigenschaften und Funktionen gibt es sogenannte Plugins. Viele davon sind ebenfalls kostenlos und alles, was man machen muss, ist sie finden, installieren und aktivieren. Ist man mit dem Ergebnis nicht zufrieden, kann man sie einfach deaktivieren und alles ist wieder gut. Etwas Vorsicht ist dennoch geboten, denn unter bestimmten Bedingungen können Plugins die Eigenschaften der Webseite auch verschlechtern. Man sollte sie also mit Maß und Ziel einsetzen.
Ein guter Grund, es mit dem einen oder anderen Plugin zu versuchen, ist die Verbesserung der Barrierefreiheit. Empfehlungen dazu, was es da an brauchbaren Möglichkeiten gibt, sind schnell ergoogelt. Beim Ausprobieren einer Handvoll solcher Plugins fällt mir auf, dass viele nicht so ganz das halten, was sie versprechen. Die meisten entferne ich daher fürs Erste wieder. Eines behalte ich. Es heißt „WP Accessibility“ und lässt mich unter anderem Einstellmöglichkeiten für Schriftgröße und Kontrast per Knopfdruck anbieten.
Beim besten Willen nicht fehlerfrei
Ausgerechnet dieses Plugin, das für einen ganz besonders hohen Barrierefreiheitsstandard sorgen soll, kommt Screenreadernutzer:innen beim Aufrufen meiner Webseite sofort in die Quere. Noch bevor man erfährt, wo man überhaupt gelandet ist, werden die Einstelloptionen für Kontrast und Schriftgröße vorgelesen. Darauf so früh wie möglich aufmerksam zu werden, mag für jene, die gleichzeitig sehend und mit Screenreader unterwegs sind, zwar durchaus sinnvoll sein. Zumindest dem Seitentitel könnte diese Information aber doch den Vortritt lassen. Beeinflussen kann ich das Ganze nicht. Von den Entwickler:innen des Plugins, die das könnten, habe ich auf meine Frage dazu noch keine Rückmeldung bekommen. Wenn es dabei bleibt, stehe ich vor der Wahl: Verzichte ich auf die Einstellmöglichkeiten für die Bildschirmanzeige, um eine optimale Menüstruktur zu gewährleisten, oder behalte ich sie, wohlwissend, dass die eigenwillige Lesereihenfolge unter Screenreader-Nutzer:innen zu Verunsicherung führen könnte? Schwierig. Und schade, dass ich mich überhaupt entscheiden muss.
Aber auch ohne Plugins wird bei näherem Hinhören deutlich, dass Neve den einen oder anderen Verstoß gegen die WCAG mitbringt. Öffnet man die Webseite auf dem Smartphone, stößt man bei der Nutzung mit dem Screenreader auf zwei Fehler: Erstens funktioniert der Sprunglink am Anfang der Seite nicht richtig. Eigentlich sollte man damit direkt zum Inhalt gelangen, tatsächlich bringt er einen immer zurück zum Seitenanfang. Zweitens wird das Menü in der mobilen Version als Schaltfläche dargestellt, mit der man es auf- und zuklappen kann. Das allein wäre noch kein Problem. Allerdings wird nicht angesagt, in welchem Zustand sich die Schaltfläche gerade befindet, also ob das Menü ein- oder ausgeklappt ist. Eine dritte Unklarheit verursacht der Copyright-Hinweis von Neve in der Fußzeile sowohl in der Web- als auch in der mobilen Version. Er lautet „Neve|Präsentiert von WordPress“. Die Worte „Neve“ und „WordPress“ sind als Links zu Webseiten mit weiterführenden Informationen ausgeführt. Nachdem Sie den Artikel bis hierher gelesen haben, wissen Sie, dass es sich bei Neve um das WordPress-Theme handelt, auf dem die Seite aufgebaut ist. Damit würde Ihnen das Problem vielleicht gar nicht auffallen. Ohne dieses Vorwissen ist aber unklar, was die Links zu bedeuten haben. Bei der sehenden Nutzung fällt das vermutlich weniger ins Gewicht, weil die Fußzeile vom restlichen Inhalt klar abgegrenzt ist und man sie automatisch ausblendet. Mit dem Screenreader stolpert man zwangsläufig darüber und wird möglicherweise davon verunsichert. Um den Copyright-Hinweis bearbeiten zu können, müsste man die kostenpflichtige Version von Neve installieren. Das ist auch recht und billig. Aber sollte man sich bei einem als barrierefrei ausgewiesenen Theme nicht darauf verlassen können, dass die Elemente, die man nicht verändern kann, die Anforderungen der Barrierefreiheit erfüllen?
Einsicht lässt zu wünschen übrig
Wäre ich nicht so tief in der Materie, wie ich es nun mal bin, und hätte ich keine Expertin zum Testen an der Hand, hätte ich diese Probleme vielleicht gar nicht bemerkt und wäre davon ausgegangen, dass in puncto Barrierefreiheit mit meiner Webseite alles in bester Ordnung ist. Es scheinen auch allesamt keine Hürden zu sein, die irgendjemanden komplett ratlos vor der virtuellen Türe stehen lassen. Überglücklich machen sie mich trotzdem nicht und peinlich sind sie mir außerdem. Deshalb suche ich Hilfe im WordPress-Forum, in dem unter anderem die Entwickler:innen der Themes Unterstützung bei Problemen auch mit den kostenlosen Versionen bieten.
Die erste Erfahrung dort ist eine sehr positive. Was ich nämlich noch nicht erwähnt habe, ist, dass mir das Erscheinungsbild des Tastaturfokus – ein knallblauer Rahmen – nicht besonders gut gefällt. Deshalb frage ich in dem Forum, ob es da eine Anpassungsmöglichkeit gibt, und prompt wird mir ein Code zum Eingeben in das CSS verraten. Das funktioniert hervorragend.
Bei den anderen drei Problemen steht es um die Hilfsbereitschaft seitens der Entwickler:innen schlechter. Beantwortet wird schon einmal nur meine Anfrage wegen der unklaren Links im Copyright-Hinweis und diese Antwort ist unbefriedigend: Man zeigt Verständnis für mein „besonderes Bedürfnis“, erklärt mir aber, dass es sich nicht mit den Wünschen des Großteils der Anwender:innen decke und man daher auch nichts ändern würde. Darauf will ich es nicht beruhen lassen. Daher habe ich noch einmal nachgehakt und warte auf eine Reaktion. Es bleibt also spannend.
Fazit
Mit meiner neuen Homepage geht es mir ein bisschen wie mit meiner nicht mehr ganz so neuen Wohnung. Auch dort hat mein Budget meine Auswahlmöglichkeiten beträchtlich eingeschränkt. Mit viel Heimwerken und Herumexperimentieren konnte ich vieles so gestalten, dass es sich ganz gemütlich drin wohnen lässt und ich auch bei der Aussicht auf Besuch nicht sofort das Weite suchen muss. Ein paar unveränderliche Gegebenheiten muss ich aber wohl oder übel in Kauf nehmen. Eine davon ist der Aufzug, den es zwar gibt, der aber sowohl vom Hauseingang als auch von meiner Wohnungstür aus nur über eine Treppe zu erreichen ist. Tja, damit haben mir die wilden 80er dann doch einen Anlass gegeben, mich in Grund und Boden zu genieren, wenn ich Besuch empfangen möchte, der den Aufzug braucht, weil er über die Stiegen eben nicht ohne Hilfe drüber kommt. Und es ist zu befürchten, dass dieses peinlich Berührtsein im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Alter hier nicht einmal meine größte Sorge sein wird. Trotzdem, das Dach über dem Kopf möchte ich nicht missen.
Bei meinem digitalen Zuhause fühlt es sich ähnlich an, aber ganz gleich ist es nicht. Zum einen ist es noch gar nicht fertig. Wer weiß, welche Steine mir das Einrichten von Untermenüs, Blogeinträgen oder sonstigen Inhalten noch auf den Weg zu einer gastfreundlichen und zugänglichen Webseite wirft. Zum anderen gibt es aber auch Grund zur Hoffnung, denn bei den WordPress Themes ist sicherlich nicht alles so fix in Beton gegossen wie in unserem Wohnhaus. Vielleicht lässt sich da längerfristig also doch etwas bewegen.
Zu schlechter Letzt ein Ausblick
Nach einem so optimistischen vermeintlichen Schlusssatz tut es fast weh, aber ich kann es Ihnen nicht vorenthalten: Wie zugänglich eine mit WordPress erstellte Webseite wird, ist die eine Sache. Darüber, ob WordPress selbst barrierefrei nutzbar ist, sagt das noch gar nichts aus. Viel Grund zum Jubeln gibt es diesbezüglich nicht, das kann ich Ihnen schon jetzt verraten. Aber mehr dazu ein andermal.
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