Twitter mal anders: Vögel an der Stimme erkennen
Viele haben sich vergangenes Wochenende auf die Pirsch nach Ostereiern gemacht. Wir haben auch etwas gesucht: eine barrierefreie Möglichkeit, Vogelstimmen mit digitaler Unterstützung ihren Urheber:innen zuzuordnen.
Mit „wir“ meine ich in diesem Fall in erster Linie Susanne Buchner-Sabathy. Ich selbst hatte vor einiger Zeit schon einmal in Hinblick auf einen digitalen Frühlingsdienstag zu recherchieren begonnen, aber relativ schnell wieder aufgegeben. Bis zum Barriere-Check habe ich es damals gar nicht geschafft, denn ich bin schon davor an den Launen meiner Kinder gescheitert. Die waren zunächst begeistert, als meine jüngere Tochter von der Smartphone App „BirdNET“ als Eule identifiziert wurde. Die Stimmung kippte, als die ältere Schwester es ihr gleichtun wollte und lesen musste, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mensch sei. Auch ich wollte mir diese Beleidigung meiner Kinder natürlich nicht gefallen lassen und habe den Frühling mitsamt seinem Vogelgezwitscher aus Protest vorläufig auf Eis gelegt.
BirdNET unter der Lupe
Wie bereits angedeutet, hatte Susanne Buchner-Sabathy mehr Geduld und hat sich der Frage noch einmal angenommen. Wo wir schon bei BirdNET waren: Wie tut sich die mit echten Vögeln?
Prinzipiell gar nicht so schlecht. Zumindest berichten das so manche sehende Nutzer:innen. Die App dürfte eine ganz gute Trefferquote haben. Lang nicht so gut steht es leider um die Nutzbarkeit mit dem Screenreader. Der Grund dafür ist eine ganz zentrale Funktion: das Eingrenzen jenes Teils der Aufnahme, den die App analysieren soll. Der erste Teil der Bedienung ist ganz einfach: Sie nehmen das Gezwitscher auf, indem Sie eine Schaltfläche aktivieren. Dann halten Sie die Aufnahme durch Drücken der „Pause“ Taste an. Das lässt sich beispielsweise mit VoiceOver noch gut bewerkstelligen.
Aber dann kommt’s: Damit die App die Aufnahme analysiert und Ergebnisse anzeigt, müssen Sie zuerst den Teil der eingrenzen, auf dem das Vögelchen gut zu hören ist. Visuell wird die Aufnahme als Spektrum angezeigt und Sie können den gewünschten Teil durch einfaches Wischen von links nach rechts markieren. Ist der Screenreader eingeschaltet, so lässt sich dies Funktion aber nicht bedienen. Damit ist es unmöglich, den Schritt zu machen, den die App verlangt, um ein Ergebnis zu verkünden.
Machbar wäre es
Jetzt denken Sie vielleicht, da kann die App doch nichts dafür, wenn man das Spektrum nicht sieht und nicht darauf herumwischen kann. Stimmt, einen Teil gezielt genau so auszuwählen, wäre für blinde Menschen wohl auch schwierig, wenn die Funktion mit dem Screenreader ansteuerbar wäre. Das heißt aber nicht, dass man nicht mit Alternativen arbeiten könnte.
Eine einfache Lösung, die schon sehr weiterhelfen würde, wäre die Möglichkeit, einfach die ganze Aufnahme analysieren zu lassen. Etwas gefinkelter, aber immer noch umsetzbar: eine Option wie z.B. „Zweite Hälfte der Aufnahme analysieren“ anzubieten, wenn es in der ersten Hälfte Störgeräusche gibt.
Auch für sehende Nutzerinnen und Nutzer wären solche Optionen praktikabel, denn zumindest ich habe mich sowieso jedes Mal ziemlich herumgeärgert, bis ich einen geeigneten Ausschnitt mit Chancen auf das Ergebnis „Eule um des Hausfriedens Willen“ erwischt habe.
Kann es eine andere App besser?
Nicht wirklich. Falls Sie keine Lust auf die Details haben: Das war die Essenz der folgenden drei Absätze.
Drei Apps hat sich Susanne Buchner-Sabathy angehört. Das gelbe vom Osterei waren sie in puncto Barrierefreiheit alle nicht. Genauer gesagt: Halbwegs bedienbar mit dem Screenreader ist nur eine und die ist nicht gratis. Die einzige der drei Apps, die schon gratis ist, ist vom Naturschutzbund Deutschland und heißt „NABU Vogelwelt“. Sie ist aber mit dem Screenreader leider gar nicht zugänglich.
Die anderen beiden Apps kosten jeweils EUR 4,99. Nicht die Welt, aber wenn man sie nicht nutzen kann, allemal rausgeschmissenes Geld. Bei der App „Zwitschomat“, die es nur für das iPhone gibt, ist das so. Im Test konnte trotz Offenlegung der GPS-Daten nur eine englischsprachige Version heruntergeladen werden, die App ist mit dem Screenreader nicht bedienbar und sowieso wurden die Spatzen im Garten mit hoher Sicherheit als Steinkäuze identifiziert.
Am besten abgeschnitten hat noch die App „Vogelstimmen ID“. Und zwar sowohl im Screenreader- als auch im Vogelkundler-Test, den wir im Internet gefunden haben. Die Begeisterung ist allerdings auch in beiden Fällen verhalten. Die Treffsicherheit dürfte zwar etwas besser als bei „Zwitschomat“ sein, aber so richtig verlässlich sind die Ergebnisse nicht. Mit dem Screenreader ist die App eingeschränkt bedienbar. Das ist besser als gar nicht, aber auch schlechter als ganz.
Hilfe beim selbst Erkennen
Das mit „Handy in die Luft halten und wissen, was zwitschert“ scheint nicht so toll zu funktionieren. Entweder sind die Ergebnisse zu unverlässlich oder Screenreader-Nutzer:innen erfahren sie erst gar nicht. Oder beides. Soll das alles gewesen sein? Naja, ein bisschen etwas hält die digitale Welt schon bereit, um uns das analoge Vogelerkunden zu erleichtern. Und zwar mit Hörmaterial, das uns hilft, die Vogelstimmen in natura selbst wiederzuerkennen.
Gezwitscher aus Deutschland
Ein Beispiel ist die Internetseite https://www.deutsche-vogelstimmen.de/. Auf der Seite gibt es auch einen Shop, aber den brauchen Sie nicht, um Zugang zu den Hörbeispielen zu bekommen. Auf der Startseite finden Sie zunächst eine Auswahl von Vögeln. Sie können sich dann alle Vögel von A bis Z anzeigen lassen und so gezielt nach einem suchen. Alternativ können Sie sich auch verschiedene Vogelfamilien anzeigen lassen, um zu all ihren Angehörigen zu gelangen. Die Links finden sie jeweils unter der Hauptüberschrift und erreichen sie mit TAB.
Sobald Sie einen Vogel ausgewählt haben, können Sie sein Lied, seinen Ruf und teilweise auch seinen Alarm- oder Bettelruf abspielen. Zumindest mit dem Screenreader funktioniert das, denn damit können Sie mit den Pfeiltasten zu den verschiedenen Rufarten gelangen. Mit TAB können Sie sie leider nicht ansteuern, was für sehende Tastaturnutzer:innen sehr schade ist. Zum Player können Sie den Fokus aber mit TAB bewegen und sich zumindest das Lied anhören.
Am Smartphone erreichen Sie die Audios bei aktiviertem Screenreader mit 1-Finger-Wischgesten und aktivieren sie durch Doppeltipp. So gelangen Sie auch zu den verschiedenen Rufarten. Die Reihenfolge verlangt Ihnen vielleicht etwas Geduld ab: Bevor Sie zum Player des Lieds kommen, springt der Fokus zunächst zu einer Rufart nach der anderen. Wenn Sie eine andere Rufart auswählen und den Player erreichen wollen, müssen Sie mit dem gleichen Spiel rechnen.
Insgesamt fielen uns auf die Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten auf der Seite zwar durchaus passende Antworten ein. Sie lässt sich aber insbesondere mit Screenreader einigermaßen bedienen.
Und so klingt die Natur in Österreich
Als Beispiel aus Österreich stellen wir Ihnen die Webseite der Österreichischen Bundesforste vor. Dort gibt es verschiedene Naturklänge zum Herunterladen als mp3 Datei: https://www.bundesforste.at/natur-erleben/naturklaenge/ringtones.html
Mit diesem Link gelangen Sie auf eine Seite mit der Überschrift Ebene 1 „Ringtones – So klingt Österreichs Artenvielfalt“. Danach folgen Buchstabenlinks und wiederum danach verschiedenste Tiere und Naturumgebungen in alphabetischer Reihenfolge jeweils mit einer kurzen Beschreibung. Haben Sie gerade keine Lust, sich mit TAB durch diese ganze Liste zu wühlen? Dann wählen sie am besten den Buchstabenlink, unter dem Sie sich das Tier erwarten, nach dessen Geräusch Sie suchen. Zum Beispiel das „S“ für den Schwan.
Wenn Sie das gewünschte Tier gefunden und den Link dazu ausgewählt haben, wird eine neue Seite geladen. Dort gibt es eine Überschrift Ebene 2 mit dem Tiernamen und darunter zwei Links zum Herunterladen: Hinter „Download Klingelton“ verbirgt sich das Geräusch als mp3 Datei, hinter „Download Wallpaper“ ein Foto des Tiers als JPEG Datei.
Nach den Links gibt es einen Text mit einer etwas längeren Beschreibung. Darunter gibt es ein Foto und – oho! – auch die Möglichkeit, sich das Geräusch anzuhören ohne es herunterzuladen. Das merken Sie aber nur, wenn Sie den Mauszeiger über das Foto bewegen und ein Symbol erscheint, das impliziert, dass Sie die Wiedergabe von irgendetwas starten können. Oder Sie wissen es, weil wir es Ihnen verraten haben. Mit der Tastatur erreichen Sie diesen Player leider ohne Screenreader nicht. Mit Screenreader geht es, und zwar beispielsweise so: Sie bewegen den Fokus mit der Pfeiltaste zum Element nach der Grafik, die nun als „anklickbar“ ausgegeben wird. Nun können Sie mit der Leertaste oder ENTER die Audiowiedergabe starten oder stoppen.
Kontakt
Haben Sie sich schon einmal mit Vogelstimmen befasst? Haben wir vielleicht Ihr Interesse geweckt? Oder lassen Sie das Zwitschern lieber nur als Geräuschkulisse auf sich beruhen? So oder so, wir wünschen Ihnen einen sonnigen Start in den Frühling. Und wenn Sie etwas mit uns teilen wollen, freut sich Doris Ossberger wie immer auf eine E-Mail an do@wortklaviatur.at!