Nicht zum Greifen nah: Aufzüge und ihre Tücken Teil 2
Im März haben Sie die Zielrufsteuerung kennengelernt. Die ist in puncto Barrieren bei Aufzügen zwar ein großes, aber nur das halbe Übel. Die andere Hälfte beschert uns die Beliebtheit von Touchscreens anstelle von Rufknopf und Co.
Oft kommen sie im Doppelpaket: die ungewohnte Zielrufsteuerung, bei der wir gleich beim Rufen des Liftes eingeben müssen, wohin er uns bringen soll, und der Touchscreen, bei dem es die einzelnen Tasten nur mehr als Bereiche auf der Bildschirmoberfläche gibt. Obwohl sie so oft in Kombination eingesetzt werden, die Herausforderungen, mit denen sie uns konfrontieren, können sich auch getrennt voneinander sehen lassen. Und beim Touchscreen ist der Zungenbrecher, der er ist, bei weitem nicht das größte Problem.
Wo sind bloß die Knöpfe hin?
Was den Touchscreen in erster Linie ausmacht, steckt schon in seinem Namen. Der bedeutet nämlich wörtlich übersetzt „Berühr-Bildschirm“. Na gut, so selbsterklärend, wie ich gerade behauptet habe, ist das bei näherer Betrachtung eigentlich gar nicht. Immerhin kann man vieles anderes genauso berühren. Und nicht nur das: Manch anderes gibt auch sehr viel mehr zum Angreifen her. Beispielsweise der gute alte Rufknopf am Lift. Tatsächlich charakteristisch für Touchscreens ist, dass das Berühren alleine etwas auslöst. Und daran liegt auch die Wurzel vieler Probleme. Denn was nicht viel ausmacht, wenn Sie die verschiedenen virtuellen Knöpfe am Bildschirm sehen, kann zur Verzweiflung führen, wenn Sie darauf angewiesen sind, die Knöpfe zu ertasten.
Lift ist nicht gleich Handy
Hat ja auch niemand behauptet, oder? Jetzt gerade vielleicht nicht. Aber ich höre es in der Leserschaft förmlich raunen: „Ach was, das Smartphone können alle super bedienen und beim Lift regen sie sich auf?“. Dass sich da manche wundern, ist durchaus nachvollziehbar. Deshalb gehen wir der Sache einmal auf den Grund.
Zunächst einmal: Es stimmt sicherlich, dass viele Menschen ein Smartphone nutzen und damit sehr gut zurechtkommen. Oft eröffnet das sogar Möglichkeiten, die man sich nie erträumt hätte. Dennoch gibt es nach wie vor genügend Menschen, die zu diesen Möglichkeiten aus verschiedensten Gründen keinen Zugang haben und deshalb mit Touchscreens lange nicht so vertraut sind wie diejenigen, für die sie total alltäglich sind.
Aber auch, wenn der Touchscreen am privaten Handy noch so sehr im Schlaf funktioniert: Es ist etwas komplett anderes, ob Sie es mit Ihrem eigenen Gerät zu tun haben, mit dem Sie sich in Ruhe vertraut machen konnten, oder einem Touchscreen, der für alle zugänglich in der Landschaft herumsteht und womöglich auch noch Funktionen hat, die Sie in Stress- oder Notsituationen brauchen.
Schön und gut?
Wenn so viele Menschen damit Probleme haben, warum macht man dann so etwas wie Touchscreens überhaupt? Ein wesentlicher Grund dafür ist schlicht und einfach, dass es schick aussieht. Das gibt zwar in den Diskussionen rund um die Barrierefreiheit kaum jemand offen zu, aber zwischen den Zeilen kommt es sehr deutlich durch. Zum Beispiel, wenn auf Forderungen nach einer barrierefreien Lösung argumentiert wird, dass sie auf dem Markt keine Chance hätte, weil sie nicht den ästhetischen Anforderungen der Kundschaft entspräche. Oder wenn die Touchscreen-Elemente von Herstellerfirmen als die moderne und elegante Lösung schlechthin angepriesen und beworben werden.
Schönheit allein ist natürlich als Argument nicht stark genug, um die erschwerte Bedienbarkeit zu rechtfertigen. Deshalb werden dann oft andere Qualitäten ins Treffen geführt, die den Touchscreens gerne zugeschrieben werden. Zum Beispiel, dass sie mit der Situation in großen, komplexen Gebäude mit vielen Stockwerken besser fertig werden, weil die digitale Oberfläche mehr Flexibilität bietet als „echte“ Knöpfe oder Taster. Oder dass sie hohen Hygieneanforderungen besser gerecht werden, weil sie leichter sauber zu halten sind. Diese Vorteile kann man schwer von der Hand weisen. Gerade die digitale Oberfläche hätte zum Beispiel zur kontrastreichen Gestaltung mit gut lesbarer Schrift ein ziemlich großes Potenzial. Aber ist es deswegen in Ordnung, das Nutzen von Aufzügen ganz vielen Menschen mit einem Schlag einfach unmöglich zu machen? Nicht zuletzt Menschen, die auf Aufzüge angewiesen sind?
Kein Drama, sondern Realität
„Unmöglich machen? Also bitte, übertreiben braucht man es auch wieder nicht“, denken Sie jetzt vielleicht. Nichts läge mir ferner. Aber auch, wenn es für manche halb so schlimm sein mag, für viele passiert genau das: Sie können den Aufzug nicht mehr nutzen. Dass das bei einer zu schmalen Tür oder einer zu engen Liftkabine der Fall ist, wird nie in Frage gestellt. Geht es um die Bedienelemente, ist es komischerweise lang nicht so klar. Dabei sollte es doch ganz leicht nachvollziehbar sein: Wenn Sie einen Lift nicht rufen können, können Sie nicht einsteigen. Wenn Sie einem Lift nicht mitteilen können, wohin er Sie bringen soll, haben Sie nichts davon, eingestiegen zu sein. Wenn der Lift stecken bleibt und Sie niemanden verständigen können, werden Sie sich beim nächsten Mal genau überlegen, ob Sie nicht lieber die Treppen nehmen.
Bei einem Touchscreen-Bedienelement beginnt das Problem genau genommen schon bevor Sie überhaupt in Verlegenheit kommen, etwas eingeben zu wollen. Sie müssen es nämlich überhaupt einmal finden und erkennen. Auch ein klassischer Knopf oder Taster kann dabei so manche Herausforderungen bereithalten und man ist sicherlich gut beraten, ihn gut sichtbar auszuführen und alle, die in dennoch nicht schon von Weitem erspähen, auch mit einer taktilen Leitlinie heranzuführen. Aber selbst, wenn das nicht gegeben ist, können Sie so einen Knopf im Notfall durch aufmerksames Absuchen und Betasten der Wand neben einem Lift ganz gut aufspüren. Bedienen Sie sich dieser Methode bei einem Lift mit Touchscreen, so haben Sie gleich zwei Probleme:
Erstens ist der Touchscreen eine glatte Fläche. Im schlimmsten Fall schön sauber verbaut in einer eleganten Glasoberfläche, die sich mehr oder weniger genauso anfühlt. Ihn tastend zu erkennen, ist also alles andere als einfach. Zweitens reagieren Touchscreens auf Berührung. Was passiert also, wenn Sie darauf herumtasten? Genau, sie aktivieren fleißig jede Menge Funktionen, ohne etwas davon mitzubekommen. Das kann schon im Stockwerk beim Versuch, den Lift zu rufen, zur Verzweiflung führen. Zu welchen Stress-Situationen es erst in der Liftkabine führen kann – sofern Sie es überhaupt bis dort schaffen -, möchte man sich gar nicht vorstellen.
Lösungsansätze und warum sie das Problem nicht lösen
Dass es da Probleme gibt, ist den Herstellerfirmen schon bewusst. Es wird auch versucht, Lösungen anzubieten. Die prominenteste ist der Taster mit dem Rollstuhl drauf, den Sie schon aus dem Artikel über die Zielrufsteuerung kennen. Er ist dafür vorgesehen, damit bestimmte Funktionen bei Bedarf aktiviert werden können. Zum Beispiel eine Steuerung nur über diesen Knopf über ein eigenes Menü. Wirklich brauchbar sind solche Ansätze zumindest in der Form, wie sie bisher umgesetzt werden, leider nicht.
Erstens bleibt das Problem bestehen, das ich oben beschrieben habe: Auf der tastenden Suche nach einem Bedienelement erwischt man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den Touchscreen uns löst ungewollt alles Mögliche aus. Und das, bevor man den Taster überhaupt findet.
Zweitens ist die Menüführung über diesen Taster alles andere als einfach und man ist damit ganz weit entfernt von einer effizienten Nutzung.
Drittens fühlen sich durch den Taster nur ganz wenige angesprochen. Personen, die beim Anblick eines unbekannten Touchscreens zurückschrecken und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, gibt es weit mehr.
Man könnte diese Liste sicherlich noch lange weiterführen und vor allem ins Detail gehen. Ein ganz grundlegendes Problem bei den Lösungsansätzen ist: Anstatt ein Bedienelement zu entwickeln, das für alle Nutzer:innen gut bedienbar ist, erfindet man zusätzliche Speziallösungen für einzelne Personengruppen, die nicht einmal für die gut funktionieren.
Nicht aufgeben
Wenn Sie jetzt auf einen motivierenden Ausblick hoffen, muss ich Sie leider genauso enttäuschen wie beim letzten Mal. Ich möchte mich ungern wiederholen, indem ich betone, wie wichtig es ist, dass möglichst viele, die Probleme mit solchen Situationen haben, sie auch gegenüber den Verantwortlichen artikulieren. Deshalb schließe ich heute damit, Ihnen zu berichten, dass es tatsächlich einige gibt, die das seit vielen Jahren sehr engagiert und systematisch machen – in der Interessenvertretung und in der Normungsarbeit nämlich. Gerade dieser Tage bekomme ich wieder mit, wie Kolleginnen auf europäischer Ebene dafür kämpfen, in den zuständigen Normungsgremien das Bewusstsein für die bestehenden Probleme zu schärfen und die Vorgaben in der Aufzugsnorm zu verbessern. Dort sind immerhin Vertreter – ja, nur männliche – von namhaften Aufzugsfirmen mit von der Partie. Womöglich besteht doch Hoffnung, dass sie einiges, was sie dort hören, auch in ihre Praxis mitnehmen.
Kontakt
Das war also Teil 2 rund um Aufzüge und ihre Tücken. Material gäbe es noch für mindestens ein oder zwei weitere Teile. Welche Informationen dazu wären für Sie besonders interessant? Gerne gestalte ich die nächsten Beiträge danach, was Sie gerne lesen würden. Lassen Sie es mich wissen – in einer E-Mail an Doris Ossberger unter do@wortklaviatur.at!