Fluch oder Segen: Die ID Austria steht vor der Tür
Finden Sie den Weg zum Computer bequemer als den zur Behörde? Dann haben Sie vielleicht schon die Qualitäten der Handy-Signatur schätzen gelernt. Ab 5.12.2023 gibt es stattdessen nur mehr die ID Austria. Was heißt das für Sie? Susanne Buchner-Sabathy und ich haben dort nachgefragt, wo die FAQs nicht hinkommen.
Ich gebe zu: Das „Digitale Amt“ hat es mir angetan. Als ich die Handy-Signatur vor vielen Jahren für was-weiß-ich-was einmalig gebraucht habe, ist mir der ganze Registrierungsprozess im Vergleich dazu, was er mir gebracht hat, sehr mühsam vorgekommen. Mittlerweile ist das ganz anders. Und das Umsteigen auf die ID Austria ist wirklich locker flockig von der Hand gegangen. Alles in allem eine feine Sache. Aber ist sie das für alle?
Liebgewonnener Komfort
Alleine, dass ich nicht mehr jeden Wisch, den ich unterschreiben soll, ausdrucken, unterschreiben und dann wieder scannen muss, sondern einfach eine digitale Signatur unter ein digitales Dokument setzen kann, empfinde ich als große Erleichterung im Alltag. Andere Services brauche ich viel seltener: zum Beispiel Dokumente wie eine Meldebestätigung oder eine Strafregisterbescheinigung. Aber wenn es einmal soweit ist, kommt meistens gleich mehreres zusammen. Mehreres, wofür ich noch vor kurzem verschiedenste Behörden mit kreativsten Öffnungszeiten persönlich abklappern musste. Dabei musste ich oft unzählige Kilometer zurücklegen und viel Zeit und Nerven sind auch immer wieder draufgegangen. Das ist nur ein kleiner Teil der Dinge, die ich schon mit Handy-Signatur von zu Hause aus online erledigen konnte und mit der ID Austria auch in Zukunft ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen machen kann.
Gleich gut für alle?
Wenn Sie das so lesen, denken Sie vielleicht, ich wurde von der Werbeabteilung des Bundes engagiert. Dem ist nicht so und deshalb höre ich jetzt auch schon auf, die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzählen. Was es da noch alles gibt, können Sie zum Beispiel auf der Webseite zur ID Austria unter https://www.oesterreich.gv.at/id-austria.html selbst nachlesen. Dort erfahren Sie auch, wie Sie sich unter verschiedenen Voraussetzungen für die ID Austria registrieren können: zum Beispiel, wenn Sie schon eine Handy-Signatur haben, wenn Sie bereits auf die ID Austria mit Basisfunktion umgestiegen sind, wenn Sie bisher noch nichts davon genutzt haben, wenn Ihr Smartphone Sie am Fingerabdruck oder am Gesicht erkennen kann oder wenn Ihr Handy nichts dergleichen bietet. All das muss ich hier nicht wiederkäuen. Was mich interessiert: das, wozu Sie dort nichts finden. Kleinigkeiten, an die Sie zunächst vielleicht nicht denken, über die sie aber in der Praxis stolpern könnten.
Digitale Potenziale
Wie Sie sich vorstellen können, haben diese Kleinigkeiten alle in irgendeiner Form mit der barrierefreien Nutzbarkeit der ID Austria zu tun. Die ist in dem Zusammenhang besonders wichtig. Es gibt natürlich nach wie vor die Möglichkeit, Behördenwege analog zu absolvieren – also ganz herkömmlich persönlich zum Amt marschieren, Formulare auf Papier ausfüllen und so weiter und so fort. Das ist auch gut so, denn es gibt genügend Menschen, die sich damit leichter tun als mit einer auch noch so perfekt gestalteten digitalen Lösung. Es gibt aber auch genügend Menschen, für die eine solche digitale Möglichkeit es überhaupt erst möglich macht, bestimmte Dinge ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe zu erledigen. So ist es zum Beispiel sehr viel einfacher, den Weg zum eigenen Computer alleine zu bewältigen, als die oft anstrengende Anreise zu einem weitgehend unbekannten Gebäude und dort noch den Weg bis zur richtigen Ansprechstelle. Ein Formular in Papierform können nur sehende Menschen selbst lesen und ausfüllen. Bei einem digitalen Formular ist das auch für blinde Menschen kein Problem. Das gilt natürlich nur, wenn das Formular barrierefrei gestaltet ist. Und hier schließt sich der Kreis: Digitale Behördenwege können wesentlich zu einem selbstbestimmten Leben von Menschen mit Behinderungen beitragen. Aber nur, wenn dabei die Barrierefreiheit bis ins Letzte gegeben ist.
Stolpersteine unter der Lupe
Bei den digitalen Behördenwegen macht einen wesentlichen Teil der Barrierefreiheit die richtige Programmierung der verschiedenen Webseiten und Apps aus, auf denen sie basieren. Das ist einerseits die App „Digitales Amt“, über die Sie die verschiedenen Services abrufen können und über die die Authentifizierung beim Einloggen erfolgt, und andererseits Webseiten wie zum Beispiel „FinanzOnline“ oder „Meine SV“, die mit der ID Austria arbeiten. Als Angebote der öffentlichen Hand müssen sie laut Webzugänglichkeitsgesetz barrierefrei sein.
Sich all diese Seiten genau anzuschauen, würde den Rahmen an dieser Stelle sprengen. Die App „Digitales Amt“ hat aber im wahrsten Sinne des Wortes eine Schlüsselfunktion. Daher hat Susanne Buchner-Sabathy sie für Sie am iPhone auf Herz und Nieren getestet. Ihr Resümee: Die App ist an sich sehr gut nutzbar. Ein paar Mängel gibt es. Der größte besteht darin, dass der Screenreader in mehreren Fällen Links nicht als Links erkennt: bei den Links auf dem Tab „Info“ genauso wie bei jenen auf dem Tab „mehr“ und jenen, die nach einer Suche angezeigt werden. Sie können diese Links mit dem Screenreader ganz normal aktivieren, aber es hört sich so an, als wären sie normaler Text. Beim Tab „Services“ sind die Links zwar als Links erkennbar, aber vor der zugehörigen Überschrift steht jeweils ein Grafiklink. Bei der Suchfunktion gibt es ein paar kleine Unstimmigkeiten mit der Beschriftung und der Lesereihenfolge. All diese Mängel sollten natürlich schnellstmöglich behoben werden.
Aber kommen wir zu den weiteren Detailfragen, auf die ich Ihnen Antworten versprochen habe.
Selbständig durch die Registrierung
Die App „Digitales Amt“ ist also soweit gut bedienbar. Damit Sie sie nutzen können, müssen Sie sich aber zunächst einmal registrieren. Dazu müssen Sie dann doch noch einmal persönlich bei der Behörde erscheinen. Einzige Ausnahme: Wenn Sie die Handy-Signatur schon einmal behördlich registriert hatten. Soweit so gut. Aber jetzt kommt’s: Wenn Sie sich registrieren, bekommen Sie einen Ausdruck auf Papier mit einem Freischaltcode und einem Widerrufs-Passwort. Ersteren müssen Sie dann zu Hause zum Fertigstellen der Registrierung in die App eingeben. Das können Sie aber nur, wenn Sie von dem Ausdruck ablesen können. Natürlich gibt es wiederum Apps mit Texterkennung, mit denen blinde Menschen das unter Umständen auch ohne sehende Hilfe machen können. Dennoch, das System dürfte solche Hilfsmittel nicht voraussetzen. Viel einfacher wäre es doch, die Daten gleich auch in digitaler Form zur Verfügung zu stellen.
Laut Auskunft des Betreibers ist das derzeit leider noch nicht möglich, da die Übermittlung beispielsweise per E-Mail nicht sicher genug ist. Es gibt aber zwei Möglichkeiten, bei denen Sie zwar einmalig zur Registrierungsbehörde müssen, um Ihre Identität zu bestätigen, der Schritt mit dem Ausdruck aber wegfällt. Die eine Möglichkeit ist die Online-Vorregistrierung. Eine Anleitung dazu finden Sie unter oe.gv.at/u/id-austria-reg-vor. Die andere Möglichkeit können Sie nutzen, wenn Sie bereits eine Handy-Signatur oder eine ID Austria mit Basisfunktion haben. Dann können Sie einfach umsteigen. Eine Anleitung dazu finden Sie unter oe.gv.at/u/id-austria-reg-einfach. In beiden Fällen ist Ihre ID Austria fertig und einsatzbereit, sobald Sie die Behörde verlassen.
Schlüssel statt Smartphone
Grundsätzlich baut die ID Austria darauf, dass Sie Ihre Identität mithilfe Ihres Smartphones zweifelsfrei bestätigen können, und zwar jedes Mal, wenn Sie sie nutzen. Dazu muss das Smartphone entweder Gesichts- bzw. Iriserkennung oder eine Fingerabdruck-Funktion haben, also sogenannte biometrische Erkennungsfunktionen. Eine Möglichkeit mit SMS-TAN, die es bei der Handy-Signatur noch gab, gibt es bei der ID Austria nicht mehr. Damit auch alle, die kein solches Smartphone haben, die ID Austria nutzen können, gibt es den FIDO-Sicherheitsschlüssel. Das ist – kurz gesagt – eine Art USB Stick. Sie stecken ihn an Ihren Computer an und müssen dann bei jeder Anmeldung eine dazugehörige PIN eingeben. Damit das funktioniert, müssen Sie den FIDO-Sicherheitsschlüssel bei der Registrierung mit Ihrer ID Austria verknüpfen. Eine genaue Anleitung finden Sie unter https://www.oesterreich.gv.at/id-austria/haeufige-fragen/allgemeines-zu-id-austria.html#fido. Sie denken, das klingt ja eh ganz unkompliziert? Nun ja, der Teufel steckt hier im Detail – oder zumindest könnte er das.
Es stellen sich zwei Fragen.
Erstens: Woher bekommen Sie die PIN. Wenn Sie sie beispielsweise von der Verpackung des FIDO-Sicherheitsschlüssels ablesen müssen, haben wir es mit demselben Problem wie mit dem eben beschriebenen Behördenausdruck zu tun.
Zweitens: Zum Eingeben der PIN wird sowohl bei der Verknüpfung als auch bei jeder Anmeldung im Browser ein zusätzliches Fenster „des qualifizierten Vertrauensdiensteanbieters“ geöffnet. Wurde darauf geachtet, dass dieses Formular barrierefrei gestaltet ist?
Auch dazu haben wir den Betreiber befragt und eine Antwort bekommen, die darauf hoffen lässt, dass die Nutzung des FIDO-Sicherheitsschlüssel tatsächlich barrierefrei möglich ist. Er wird nämlich vom Betriebssystem unterstützt und die Dialoge dort sind erfahrungsgemäß gut bedienbar. Außerdem dürfte bei FIDO ein großes Bewusstsein für Barrierefreiheit vorhanden sein: Bei der Entwicklung werden die WCAG berücksichtigt und es gibt auch einen eigenen Leitfaden des Unternehmens für die barrierefreie Gestaltung. Was wir nicht eindeutig klären konnten, ist die Frage, ob man die PIN tatsächlich von der Verpackung des FIDO-Sicherheitsschlüssels ablesen muss. Falls das so ist, bräuchten blinde Menschen dafür einmalig sehende Unterstützung. Sobald sie sich diese PIN notiert haben, sollten sie aber alles andere selbständig machen können.
Wenn Sie beim Anmelden im Dunkeln Tappen
Zurück zum Smartphone, denn auch hier gibt es eine Situation, die für Unsicherheit sorgen könnte – und zwar für alle Nutzer:innen. Manchmal funktioniert die Authentifizierung nicht. Zum Beispiel erkennt bei schlechten Lichtverhältnissen das Smartphone Ihr Gesicht nicht. Es kann auch sein, dass es mit der Gesichtserkennung ohne ersichtlichen Grund vorübergehend nicht klappt. Wenn das passiert, haben Sie fünf Versuche. Dann erhalten Sie von Ihrem Smartphone die Meldung, dass die Erkennung nicht funktioniert hat.
Aber wie geht es jetzt weiter? Sind Sie für die Anmeldung gesperrt? Was können Sie dagegen tun? Die App gibt in so einem Fall keine Rückmeldung und das kann schnell einmal dafür sorgen, dass die Nerven blank liegen. Mit der Auskunft des Betreibers, die wir eingeholt haben, kann ich Sie aber beruhigen: Die Möglichkeit zur Anmeldung in der App wird nie gesperrt. Wenn die Erkennung nicht funktioniert, wird der Prozess, für den Sie die ID Austria gerade nutzen, abgebrochen. Sie können ihn aber beliebig oft wiederholen.
Was können Sie aber machen, wenn die Erkennung nicht und nicht funktionieren will? Am besten versuchen Sie zunächst einmal, das Smartphone auszuschalten und wieder einzuschalten. Oft ist das Problem damit schon gelöst. Wenn nicht, können Sie die App deinstallieren und neu installieren. Wenn das Problem dann immer noch besteht, können Sie sich noch an den Support der ID Austria wenden. Die biometrische Erkennung ist zwar eine Funktion Ihres Smartphones, nicht der ID Austria, aber möglicherweise gibt es beim Support Erfahrungen, was noch helfen könnte.
Fazit
Nachdem wir uns auch Feinheiten angesehen haben, die der barrierefreien Nutzbarkeit der ID Austria womöglich im Weg stehen könnten, haben Susanne Buchner-Sabathy und ich den Eindruck, dass die ID Austria gut bedienbar ist. Zu den Fragen, die wir gestellt haben, möchte der Betreiber demnächst Informationen direkt auf der ID Austria Webseite bereitstellen.
Lediglich im Zusammenhang mit dem FIDO-Sicherheitsschlüssel können wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass blinde Menschen ihn von Anfang an komplett ohne sehende Hilfe nutzen können, und zwar aus zwei Gründen: Erstens muss man möglicherweise die PIN einmalig sehend ablesen. Zweitens ist es zwar sehr wahrscheinlich, dass die Dialoge zum Anmelden barrierefrei sind, aber selbst ausprobieren konnten wir es nicht
Kontakt
Nutzen Sie den FIDO-Sicherheitsschlüssel? Können Sie unsere Annahmen bestätigen oder haben Sie andere Erfahrungen gemacht? Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Praxiserfahrungen mit uns teilen und wir sie an andere weitergeben dürfen!
Haben Sie sonst Fragen? Wenden Sie sich damit gerne an Doris Ossberger unter do@wortklaviatur.at